Hochspannung

Den Anfang des Threads ist mir leider entgangen :-(

*Bereitschaft* bedeutet bei einer Kathodenstrahlröhre, daß sie beheizt wird. Nicht unbedingt mit voller Leistung, aber doch so, daß sie innerhalb von Sekunden betriebsbereit ist.

Und die Hochspanung kann sich auch bei ausgeschaltetem Gerät stundenlang halten, wie ich bei meinem ersten Fernseher leider feststellen mußte. Das belastet die Kaskade.

DoDi

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Hans-Peter Diettrich
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Die Op schreib im Laufe des Threads:

"Ich kann mich jetzt auch wieder an das Argument des Servicetechnikers meiner früheren Arbeitsstelle für die 80KV "HV on" erinnern. Es ging darum, dass ein Schaltrelais im Hochspannungstank/trafo kaputt war und eine teure Reparatur erfordert hatte. Dieses Teil wird durch oftmaliges Ein- und Ausschalten eher kaputt als bei Dauerlauf. Das hat mir damals eingeleuchtet."

Thomas Prufer

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Thomas Prufer

Thomas Prufer schrieb:

Wie in diesem Thread nun mehrfach (auch von mir) geschrieben wurde, erübrigt sich hier jegliche Interpretation. Die OP hat einen Benutzungsvertrag mit dem Betreiber des Elektronenmikroskops abgeschlossen, in dem (u.a.) die Betriebsstunden der HV als Abrechnungsgrundlage für das Nutzungsentgelt vereinbart war. Dann hat die in verschwenderischer Weise genau diesen Betriebsstundenzähler laufen lassen und macht bei der daraus resultierenden Abrechnung "Mimimi!"

Nun kann die OP nur noch an die Kulanz des Vertragspartners appellieren, aber mit technischen Argumenten wird sie abblitzen.

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Andreas Bockelmann

Nachdem der Vertragspartner die Abrechnung mit "Stromkosten" begründet hat, war es doch einen Versuch wert, den diese Begründung ist dünn.

Thomas Prufer

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Thomas Prufer

Thomas Prufer schrieb:

[Betrieb eines Elektronenmikroskops]

Als Vertragspartner käme ich jetzt bei den "Stromkosten" mit den "Total Costs of Ownership", die diese "Stromkosten" durch den Verbrauch der elektrischen Enerfie anfallen.

Ich habe jahrelang "Betriebliche Abrechnungsbögen" und Kostenrechnungs-/Kalkulationsmodelle produzierender Betriebe in ERP-Systemen eingerichtet. Ich rechne Dir jede Betreibsstunde beliebig hoch und jeden Gewinn beliebig klein. Das ist alles nur eine Frage der Kostenstellen und Beitragsdeckung.

Reply to
Andreas Bockelmann

Es gab ja auch keine Diskussion über die Total Cost of Ownership; ist ja auch erheblich mit Anschaffung, Wartung, Service, Raum, Verwaltung, ...

Da irgendwo einen Stundenzähler an was elektrisches hinzupacken und dann die Gesamtkosten daran anteilig aufzuteilen ist ja eine von mehreren vernünftigen Modellen.

AFAIk wurde aber die Bitte um Kulanz "Ich hab nur HV angehabt aber nicht genutzt/verschlissen/mirkospiert" mit der Begründung abgelehnt, die horrenden Stromkosten zu erlassen, entstanden *nur durch HV ein gegenüber HV aus* wäre unfair dem Steuerzahler gegenüber. (Vakkuum- und Nebenaggregate und Rechner usw. liefen AFAIK weiter, und die dürften deutlich mehr Strom kosten als die HV). Schlechte Begründung, sag ich, und würde ich so erstmal als "wahrscheinlich sachlich falsch" einstufen.

"Wir rechnen die Gesamtkosten halt so ab" fände *ich* persönlich erträglicher als eine falsche Begründung...

Thomas Prufer

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Thomas Prufer

Die OP hat mitgeteilt, die Abrechnung erfolge nach dem Nutzungsvertrag auf Stundenbasis, so dass der reale Stromverbrauch insofern tatsächlich irrelevant ist. Daneben vermag ich in ihren Antworten auf Nachfragen aber auch nirgends einen Anhaltspunkt dafür entdecken, dass man ihr erklärt hätte, es käme auf den Stromverbrauch an. Dieser Aspekt wurde von anderen Postern ins Feld geführt

MfG Rupert

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Rupert Haselbeck

Vom OP: "übermäßigen Stromverbrauch" und "unzumutbare Belastung für den Steuerzahler"...

Volltext:

"Es war wirklich eine ernstgemeinte Frage, auch wenn ich das Fragezeichen nicht gesetzt habe. An meiner früheren Arbeitsstelle war die Empfehlung die Hochspannung an zu lassen, wenn regelmäßig mikroskopiert wird. Es gab vom Servicetechniker auch eine Begründung, an die kann ich mich nicht mehr erinnern. Das war allerdings ein anderes Gerät - Jeol - und jetzt arbeite ich an einem Zeiss. Klar ist die Vorschrift, die HV nach dem Mikroskopieren herunterzufahren, aber mit übermäßigen Stromverbrauch lässt sich das nicht argumentieren und auch nicht als unzumutbare Belastung für den Steuerzahler....da fielen mir tausende Dinge ein."

Thomas Prufer

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Thomas Prufer

Thomas Prufer schrieb:

Ja, reine Spekulationen der OP ohne Hinweis darauf, dass jemand ihr gegenüber so argumentiert hätte.

Aber letztlich ist das egal, weil laut Vertrag die Betriebsstunden maßgeblich sind. Manchmal mag es tatsächlich nützlich sein, zu lesen, was man denn so unterschreibt - egal ob vorher (meist sinnvoller) oder nachher (auch lehrreich...)

MfG Rupert

Reply to
Rupert Haselbeck

Das hatte ich anders verstanden -- aber ja, ich sehe das könnte man auch als Spekulation der OP lesen.

Ja, eh klar. Aber ehrlich: machst du das? So richtig gründlich durchlesen?

Wen ich jetzt zB eine Maschine bei Boels miete, geh ich da mal quer drüber, kommt ja erstmal Gerichtsstand, salvatorische Klausel, Sitz des Vertragspartners, keine Haftung für irgendwas, keinerlei Eigenschaften werden verbindlich zugesichert, und versuche mal zu sehen wo das wichtige steht.

Oder ich frag den Mann am Tresen, und verlass mich auf dessen Wort -- das kann ja auch lehrreich schiefgehen.

Aber zB bei irgendeiner Bestellung im Netz lese ich nicht die AGBs mit der vielleicht nötigen Gründlichkeit -- will sagen "jaja, wegklicken" passiert schon mal...

Thomas Prufer

Reply to
Thomas Prufer

Am 30.06.23 um 08:06 schrieb Thomas Prufer:

Als mir vor längerer Zeit mal ein iPhone (3a oder so) zugelaufen war, sollte ich den AGB des Appstore zustimmen, um damit irgendwas machen zu können. Waren 70KB reiner Text. Es hätte Stunden gebraucht, das zu lesen. War mir zu viel, hab ich nicht getan, und bin das iPhone wieder losgeworden.

Hanno

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Hanno Foest

Am 30.06.23 um 15:43 schrieb Hanno Foest:

Gute Entscheidung ;-) Ob das bei Google besser ist? Aber es gibt zum Glück ja auch Android ohne Google (z. B. /e/OS oder LineageOS)

Ähnliches hatte ich mit meinem Sohn, als er mit 14 unbedingt WasIstLosPROGRAMM haben wollte. Ich sagte "Gut, wir lesen mal die AGB zusammen." Der Spaß war schnell vorbei ;-)

Marte

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Marte Schwarz

Gedanken dieser Art liegen ja der South-Park-Folge "HUMANCENTiPAD", der ersten Folge der fünfzehnten Staffel, zugrunde. Dort geht es um das Geschehen nachdem eine der Hauptpersonen einen Nutzungsvertrag für iT*nes (*=u) unterzeichnet hat.

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Stefan Ram

Am 30.06.23 um 18:07 schrieb Marte Schwarz:

War (damals) wesentlich weniger. So ein Drittel dessen.

Bin auch bei LOS. Ohne Google Services.

Gute Methode!

Hanno

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Hanno Foest

On Fri, 30 Jun 2023 18:07:48 +0200, Marte Schwarz wrote:

Genau so siehts aus. Ich kann dem Kaufreflex momentan noch gut widerstehen, weil es mir nicht so geht wie dem nämlichen Herrn Tcherdenek aus "La Traque" von Guy Scovel alias Jean-Pierre Fontana [1]. Danach würde ich halt nach dem Schlaufernsprecher mit dem geringstmöglichen Maß an Gängelung suchen und hoffen, daß bis dahin die Bespitzelung mit permanenten Cookies auf Providerlevel nicht soweit fortgeschritten ist um mir total den Spaß zu verderben.

Whatsapp ist ja irgendwie noch verschmerzbar. Naja, für U30 vermutlich nicht (=lebenswichtig), da muß jeder Scheiß in so einer Gruppe breitgetreten werden, weil so Dinge wie Usenet, Mailinglisten oder gar ICQ vollkommen in Vergessenheit geraten sind.

Aber neulich beglückte mich die Universa Krankenversicherung AG, die jetzt Universa Lebensversicherung AG heißt, mit einem 12-seitigen PDF, daß es jetzt 2-Faktor-Authentisierung für ihr ohnehin schrottiges Web"portal" gäbe, wo man die Belege einreichen könne, falls man nicht in die digitale Steinzeit mit der Sackpost zurückwolle.

Einzige andere Option die noch tollere App, neuestes Android, eh klar. Ein Riesenwust an Text und am Ende glaube ich verstanden zu haben, daß man das Portal auch benutzen kann, wenn man die TAN eintippt, die per E-Mail kam. Ich nenne das 1.1-Faktor-Authentisierung, falls das Portal nicht irgendwie spannt, daß der ganze Mist sowieso auf ein- und demselben PC (oder Handy, falls Millennial) läuft.

Aber das werden sie bestimmt auch noch raffen und dann darf ich jedesmal mein !#?!?§* Smartphone suchen, um dort eine TAN zu empfangen.

Volker

[1] Und damit ich das endlich vom Hals habe und mein Versprechen in Message-ID: snipped-for-privacy@news.bartheld.net> einlöse, hier die deutsche Übersetzung von

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zur gepflegten Lektüre. Tippfehler dürft ihr gerne behalten.

GUY SCOVEL Die Treibjagd

»Haben Sie es gesehen?« keuchte Doc Shunt, als er in Windeseile den Laden betrat, »Sie sind schon auf dem Boulevard. Ich hatte Ihnen ja gesagt, daß man es nicht aufgeben würde!« Er trocknete sich die Stirn mit einem karierten Taschentuch ab, kam wieder etwas zu sich und fuhr fort: »Nach den Autos mußte es soweit kommen, daß jedermann zur Kasse gebeten wird. Letztes Jahr schon hatte ich mit meinem Schwager gewettet, daß man sich nicht scheuen wird. Die Regierung will den großen Städten nichts mehr bewilligen. Nun, dann müssen sie irgendwie zu ihren Moneten kommen, nicht wahr? Und da diese Schweine von Steuerzahlern immer noch Wege finden, etwas zur Seite zu legen, braucht man sich die Birne nicht anzustrengen. Es genügt, wenn man die Leute blechen läßt. »Nun, kommen Sie wieder zu sich!« sagte Tcherdenek lächelnd und nahm seine Arbeit wieder auf, die alten Puppen abzustauben. »Wenn Sie keinen Zweifel daran hatten, was kommen wird, dann haben Sie doch keinen Grund, sich so aufzuregen. Und zudem, was ist denn wirklich passiert?«

Die Zigarette, die Doc sich soeben angezündet hatte, wäre ihm beinahe aus seinem Mund gefallen. Er sah den Antiquar an, als ob er

eines der seltensten Objekte im Laden vor sich hätte, und stieß schließlich heraus: »Wie? Sie haben also nicht gehört, daß sie Radarspione einsetzen wollen?«

»Radarspione?« Der alte Antiquar schien aus den Wolken zu fallen. Man muß allerdings zu seiner Entschuldigung sagen, daß er niemals Zeitungen las, nicht fernsah und sich für Politik nur wenig interessierte. »Ruhig Blut! Ich habe niemals solches Zeug gesehen. Was sollen schließlich diese Spione bedeuten Diese elektronischen Dinger wie in Paris. Wenn Sie die Marke haben, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, Blitz, Klick und Bumm! und zahle. Apparate, um die Fußgänger zu kontrollieren, wenn Sie so wollen«, drückte er sich genauer aus, angesichts der verblüfften Miene von Tcherdenek.

Offensichtlich verstand der alte Mann die Welt nicht mehr. Doc Shunt stieß einen Seufzer aus und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Nachdem er sie gefunden hatte, ließ er seine fünfundneunzig Kilo auf das alte Empiresofa fallen.

»Man braucht jetzt eine Verkehrserlaubnis. Sie werden nicht mehr das Recht haben, in der Stadt ohne eine Lizenzmarke herumzubummeln. Das ist eine neue Steuer. Wie die Kraftwagensteuer.« »Unmöglich«, stieß Tcherdenek hervor, der seine Puppen ihrem Staub überlassen hatte und Mund und Augen aufsperrte. »Unmöglich!« Warum unmöglich? Es ist doch Tatsache, mein Lieber! Noch ein paar Tage, und die ganze Stadt wird in Quadrate eingeteilt sein, von der Kreuzung des Pistes bis zum Gare de Royat und Herbert à Chanturgue. Und niemand wird etwas dagegen machen können. Tcherdenek schüttelte ungläubig den Kopf. »Nichts zu machen, ich gehe Ihnen nicht auf den Leim. Das ist ein Ulk, Ihre Geschichte mit der Verkehrserlaubnis.« »Zunächst einmal bin ich kein Lügner, verteidigte sich Doc Shunt, dessen wachsende Nervosität sich an einem Tic zeigte, der ihm die Lippen zum rechten Ohr hin verzog. »Und sodann brauchen Sie nur zum Boulevard Trudaine hinunterzugehen, und Sie werden sehen. Außerdem werden sie bald auch in dieser Straße sein.« »Kein Grund, daß Sie sich aufregen, sagte der Antiquar nachdenklich. »Ich glaube Ihnen. Aber schließlich, das ist doch nicht ohne weiteres so gekommen, diese Geschichte. Man entscheidet doch nicht von heute auf morgen, daß die Fußgänger eine Erlaubnis haben müssen, um spazierenzugehen.« »Nun ist es aber trotzdem soweit gekommen, brüstete sich der Doc. »Sehen Sie, mein Lieber, seit dreißig Jahren erzähle ich das schon, aber man hört ja nicht auf Leute wie mich, die noch Zeit haben, über etwas nachzudenken, Man hält sie für bekloppt. Aber heute haben nur die Verrückten etwas zu lachen, verstehen Sie? Wir werden uns aber danach richten müssen, ob uns das gefällt oder nicht. Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als sie anfingen, Autobahnen zu bauen? Stopp, Gebühr, heraus mit dem Geld! Nun, man hätte niemals fahren sollen. Man hätte sie stehenlassen sollen, mit ihren Autobahnen. Aber das tat einem ja so wohl, hundertsechzig zu schaffen, für fünf oder sechs Francs, wenn ich mich recht erinnere.«

Der Doc stand auf, um seine Zigarette in einen Aschenbecher zu legen. Er beruhigte sich wieder, hustete etwas und fuhr fort: »Sie verstehen, anstatt die Hauptverkehrsstraßen herzurichten, war es merkwürdigerweise besser, neue Straßen zu bauen, mit Schaltern am Anfang und am Ende, wie im Kino. Das war rentabel - und wie! Und wissen Sie, was dann passiert ist? Die Regierung hat sich gesagt, daß kein Grund mehr vorhanden ist, die Hauptverkehrstraßen überhaupt noch zu unterhalten. Die Departements sollen nur sehen, wie sie zurechtkommen. Und damit Schluß! Er zündete sich eine neue Zigarette an. »Zuerst waren es Privatfirmen, die sich der Sache annahmen und Autostraßen bauten. Als dann der Wagenverkehr in den Städten Probleme aufwarf, haben andere Gesellschaften Parkplätze gebaut. Der Autofahrer selber, dumm und gar nicht böse, hat weiter gezahlt. Francs für die Autosteuer. Sous für die Parkplätze. Und da das noch nicht ausreichte, die Parkplätze, hat man überall ein paar Parkuhren aufgestellt. Um immer noch ein paar Sous mehr zu kassieren.«

»Aber schließlich,« warf Tcherdenek ein, »worauf wollen Sie hinaus?« »Auf das, worüber wir gerade sprechen. Je mehr Sous man hat, desto mehr braucht man. Und Gott weiß, wie die Städte sie nötig haben, um ihre Polizei zu unterhalten, die Straßen, die Stadien und was sonst noch. Ihre Mietsteuer oder die Gewerbesteuer reichen noch lange nicht. Man muß noch Plätze unterhalten, die Grünanlagen, die Fußgängerzonen, die Bürgersteige, Rolltreppen und was sonst noch. Vor knapp fünf Jahren hat man die Stadtverkehrs-Erlaubnis für Autofahrer eingeführt. Jetzt geht man noch etwas weiter. Da bis jetzt noch niemand gemeutert hat, ist kein Grund, damit nicht fortzufahren. Für den Fußgängerverkehr wird eine Erlaubnis nötig sein. Sie sind auf den Gedanken der Marken und der Radarspione gekommen. Auf diese Weise kann niemand mogeln, jeder geht zur Kasse oder bezahlt eine Strafe, gute Arbeit.

Der Antiquar zog einen alten Rohrstuhl heran und ließ sich wortlos hineinfallen. Der Kopf schwirrte ihm. »Wieviel?« murmelte er.

»Was wieviel? Ach so, die Steuer? Nun, zweihundert Francs, glaube ich.« »Zweihundert?« »Ja, soviel sind es wohl.« »Und diejenigen, die nicht bezahlen?« »Unmöglich, sage ich Ihnen«, grinste der Doc. »Die lassen niemanden aus. Klick, Foto, Strafe! Und es scheint, daß die Rechnung gesalzen sein wird. Das ist eine Sache der staatsbürgerlichen Gesinnung, hat der Bürgermeister gesagt. Jedermann muß zur Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt beitragen« »Zweihundert Francs«, murmelte Tcherdenek nochmals. »Was kann man tun?« »Nichts! Die Leute sind zu doof dazu. Das ist wie mit den Parkuhren. Außer ein paar Wirrköpfen, die versucht haben, sie zu demontieren, haben alle anderen brav gesagt, daß es besser wäre als frühem »Aber das ist doch etwas ganz anderes. Man ist doch kein Auto, immerhin!« »Und wennschon? Was ändert das? Wenn der Fernseher nicht kaputtgeht, Wein und Tabak nicht teurer werden, sind alle zufrieden« »Was kann man nur tun?« wiederholte Tcherdenek zum dritten Mal. »Zahlen!« sagte schulmeisterlich Doc Shunt. »In unserem Alter taugt man nur noch dazu. Das ist etwas für die Jungen, Krach zu schlagen. Leider denken die jungen Leute von heutzutage nur noch an ihr Vergnügen und ans Fernsehen.«

Mit diesen Worten ging er. Wie üblich verklemmte sich sein alter Regenmantel in der Tür, die sich zu schnell schloß. Tcherdenek ließ seine Augen durch den staubigen Laden wandern. Er hatte nicht ein- mal dreißig Francs in seiner Ladenkasse.

Als Gilles Bourreau, Chef der statistischen Abteilung des Städtischen Verkehrsamtes, den Konferenzsaal betrat, erhoben sich die Leiter der einzelnen Sektionen. Das übliche Stimmengewirr bei diesen Zusammenkünften der Verwaltung setzte erst wieder ein, als der neue Ankömmling Platz genommen hatte. Gilles Bourreau wartete ab, bis es wieder ruhiger wurde, währenddessen er das mitgebrachte wichtige Aktenstück durchgeblättert hatte. Dann räusperte er sich und begann: »Meine Herren! Sie sind sich über die Wichtigkeit der Arbeiten im klaren, die wir unternommen haben. Wenn es auch etwas unfreundlich klingt, so möchte ich doch gleich betonen, daß Ihr Interesse nicht einen Augenblick nachlassen darf. Die Volkszählung, die gemacht wurde, ist für die Zukunft der in den letzten Tagen vorbereiteten Aktion von größter Wichtigkeit. Unsere Aufgabe besteht darin, die aktive Bevölkerung der Gemeinde zu zählen, aber auch, etwaige Betrüger festzustellen. Der enorme Umfang der Aufgaben einer Stadt wie der unseren erfordert einen Haushalt, dessen Bedeutung Ihnen sicher nicht entgangen ist. Jeder Bürger muß sich daher mitverantwortlich fühlen und an der Verbesserung seiner Umgebung teilnehmen. Der Anteil, den wir von ihm durch den Ausweg der neuen Fußgänger-Verkehrssteuern verlangen, liegt daher auf der gleichen Linie wie etwa die Militärdienstpflicht. Der Zuwiderhandelnde kann nicht geduldet werden; einerseits, weil er ein Parasit ist, und andererseits, weil er ein schlechtes Beispiel für seine Mitbürger wäre. Seine Feststellung, wenn sie auch schwierig ist, muß daher für jeden von uns ein ständiges Anliegen sein. Jeder Mangel an Wachsamkeit, wenn er vorkommen sollte, muß verfolgt werden. Aber ich vertraue Ihnen. Ich über- lasse jetzt dem Leiter des Katasteramtes das Wort. Monsieur Braveau?«

Der neue Redner entnahm einer neben ihm stehenden Aktentasche einige maschinenbeschriebene Blätter. Nachdem er seine große Brille zurechtgerückt hatte, die seine blauen, sehr kurzsichtigen Augen verbargen, erhob er sich.

»Sehr geehrter Herr Direktor! Sehr geehrte Herren!

Wie Sie wissen, hat Ihnen meine Dienststelle eine wichtige Akte vor- gelegt, die das Ergebnis von Ermittlungen über die gesamten bebauten Grundstücke im Stadtbereich darstellt. Auf diese Weise haben Sie ein im Prinzip vollständiges Verzeichnis aller Einwohner der Stadt, dessen Vervollkommnung dadurch sehr erleichtert wird, daß jeder Hauseigentümer uns über eventuelle Ortsveränderungen seiner Mieter unterrichten muß. Die einzigen Schwierigkeiten könnten aus vor- übergehenden Veränderungen entstehen, wie Krankenhausaufenthalt, zeitweilige Invalidität, Reisen sowie, in der ersten Zeit, Touristen und Reisende, die sich in der Stadt aufhalten und über die provisorischen Lizenzen ungenügend unterrichtet sind. Die Zahl dieser besonderen Fälle dürfte indessen nicht das Tausend überschreiten. Es erscheint daher so gut wie sicher, daß in spätestens zwei bis drei Monaten eine endgültige Liste extremer Fälle des Zuwiderhandelns vor- gelegt werden kann. Meine Mitarbeiter werden dann eingreifen, um die verschiedenen Probleme zu lösen. Ich stehe selbstverständlich jederzeit zu Ihrer Verfügung, um Fragen zu klären, die sich aus der Auszählung der amtlichen Belege ergeben könnten. Ich glaube aber trotz allem, daß unsere Kartei klar genug ist und nur ein Minimum an Lücken und fehlerhaften Eintragungen enthält,«

Der Leiter des Katasteramtes schwieg. Er wartete einen Augenblick lang auf etwaige Fragen, bevor er sich Wieder setzte. Die weiterhin behandelten Fragen betrafen mehr Einzelheiten der Eintragungen in die vorgesehenen Drucksachen als das Prinzip der Kontrollen selbst.

Tcherdenek schloß sorgfältig die Tür seines Apartments hinter sich zu und warf einen unruhigen Blick auf die des Treppennachbars. Unbeweglich blieb er etwa zehn Sekunden lang stehen, während er angespannt auf die Geräusche um ihn herum lauschte. Dann begann er, infolge seines Alters, einer alten Kriegsverletzung und seines Rheumatismus etwas hinkend, die Wendeltreppe hochzusteigen. Seine Gummisohlen machten auf dem abgenutzten Stein keinerlei Geräusch. Das Atmen fiel ihm schwer, und er bemühte sich, nicht auf die Schmerzen in Knien und Schenkeln zu achten. Unwillkürlich hielt er sich an die Gewohnheit, sich wie in seinem Laden mit einstudierter Bedachtsamkeit zu bewegen, um nicht vor der Kundschaft als zu schwerfällig und ungelenk zu erscheinen. Aber er mußte sich beeilen. Solange er nicht den Dachboden erreicht hatte, war ein peinliches Zusammentreffen nicht auszuschließen, selbst zu dieser sorgsam ausgewählten Stunde, zu der die meisten schon an ihrer Arbeitsstelle oder noch im Bett waren.

Die obere Tür war nicht zugeschlossen. Sie war es schon seit einigen Monaten nicht mehr, seitdem der Antiquar ein für allemal den Riegel im Schloß blockiert hatte. Auf dem staubigen und wurmstichigen Fußboden fanden seine Füße bald die am besten erhaltenen Bretter wieder und erreichten die leere Kiste, auf die ein Stuhl gestellt war, der einstmals neben seinem Küchenschrank gestanden hatte.

Nach zwei oder drei Versuchen gelang es ihm, sich auf das unsichere Gerüst zu stellen. Tcherdenek richtete sich auf und griff nach der Eisenstange, die es möglich machte, das Dachfenster hochzuheben. Er brachte die Eisenstange in ihre höchste Stellung, fegte die Spinnweben hinweg, die sich jeden Tag aufs neue über die Fenster zogen, und begann, sich in kleinen Rucken zu dem geneigten Dach hochzuziehen. Es vergingen fast zehn Minuten, ehe er sich auf den noch taufeuchten Dachziegeln ausruhen konnte. Das war der schwierigste Teil seines Ausfluges. Jedesmal packte ihn die Furcht, der Blick ins Leere, der Atem beengt durch den Druck seines Körpers auf den Fensterrahmen. Mehrere Male schon wäre er beinahe beim Aufschwung zum Fensterrahmen nach unten gerissen worden. Aber stärker noch als die Furcht vor der Leere war die Angst, ein Geräusch zu machen, das im Haus gehört werden könnte. Das machte ihn kopflos.

Er wußte, daß er der Schande nicht entgehen würde. Niemals in seinem Leben hatte er jemanden getäuscht, betrogen. Sein Leben war eine lange Folge von Aufrichtigkeit und Treue gewesen. Tcherdenek, ein alter Kämpfer, körperbehindert, verfluchte sich, das Gesetz über- treten zu müssen, aber er konnte nicht anders handeln.

Nachdem er wieder Kräfte gesammelt hatte, während er das eintönige Panorama der Schornsteine beobachtete, von denen einige noch in Nebel gehüllt waren, bereitete er sich darauf vor, seine Route fortzusetzen. Die letzten Lichter der Nacht wichen einer durch den bedeckten Himmel trüben Sonne. Das immer gleiche Geräusch der Straße drang zu ihm herauf. Er erinnerte sich an seine Jugendjahre und wie gern er es gehört hatte: die rauhen Rufe der Straßenkehrer, das Klirren der Flaschen des Weinhändlers, der Ruf irgendeines Klatschweibes, das Unterhaltung suchte... Das lag mindestens hundert Jahre zurück!

Er kletterte bis zum Giebel des Daches und stieg langsam auf der anderen Seite wieder hinunter. Er kannte jeden Dachziegel und wußte, welche vor dem nächsten Winter erneuert werden müßten. Sein rechter Fuß berührte als erster das Nachbardach. Er richtete sich auf und betrachtete das neue Hindernis, während ihm ein Schauer über den Rücken lief. Das war einer der kritischsten Augenblicke seiner Reise, nicht wegen der Neigung, die im Gegenteil eher sanft war, sondern Weil der Dachboden hier durch ein junges Paar bewohnt war. Schon mehrere Male mußte sein Vorbeigang in der winzigen Wohnung bemerkt worden sein, denn der junge Gatte hatte das Fenster hochgehoben. Glücklicherweise hatte Tcherdenek stets die andere Dachseite erreichen können, bevor es zu spät war. Das große Risiko bestand aber immer. Wiederholt alarmiert, waren die jungen Leute auf der Hut. Vielleicht lauerten sie heute mit dem Ohr an der Wand und bereit, aufzutauchen, wenn er sich näherte.

Sein Fuß stützte sich vorsichtig auf den an dieser Seite glücklicherweise trockenen Dachziegel. Tcherdenek hielt den Atem an und beobachtete das Dachfenster. Es war nicht erleuchtet. Das war vielleicht ein gutes Zeichen. Vielleicht schlief das Paar noch. Er setzte einen weiteren Fuß vor. Ein riesiges Gewicht lastete auf seiner Brust. Jeden Tag fragte er sich, ob er noch länger solche Aufregungen aushalten könnte. Wieder ein Schritt. Tcherdenek befand sich jetzt fast in der Höhe des Fensters. Es hätte genügt, daß er sich etwas nach rechts beugte, um in das Zimmer hineinzusehen, das noch im Schatten lag, den die aufgehende Sonne immer schneller verjagte.

Er fragte sich erneut, ob sie noch schliefen oder ob die jungen Leute, aufgeschreckt durch die unvermeidlichen Geräusche, die er machte, gerade unter der Fensterscheibe warteten. Die Neugier verzehrte ihn, aber zugleich ließ die Angst sein Herz hämmern. Wenn er sich ein wenig vorbeugte, könnte er sich einem aufmerksamen Gesicht gegen- übersehen. Er mußte weitergehen und durfte nicht auf das Fenster achten.

Tcherdenek beugte sich hinüber. Die Neugier war zu stark, als daß er ihr länger hätte widerstehen können. Vielleicht trieb ihn sogar die Furcht, angestachelt durch die Unsicherheit des Nichtwissens, zu dieser Torheit. Er beugte sich hinüber und entdeckte zum ersten Mal die morgendliche Welt des Zimmers.

Der Anblick war sehr verschieden von dem, was er jeden Abend bei seiner Rückkehr sah, wenn das Paar abwesend war. Es herrschte eine gewisse charmante Unordnung, Zeichen eines frischen und, warum auch nicht, fröhlichen Lebens. Einige Parfümfläschchen standen verstreut auf dem Frisiertisch. Ein Paar Strümpfe hing über einem Stuhl. Auf einem kleinen langhaarigen Teppich lagen Kleidungsstücke acht- los verstreut. Das Bett war noch nicht gemacht, und...

Die junge Leute schliefen.

Unwillkürlich vergoß Tcherdenek eine Träne. Er erinnerte sich an Madeleine. Das war... es lag so lange zurück... Sie war schon so lange tot.

Das Paar schlief. Die junge Frau hatte ein wunderbares Lächeln, und ihr um den Hals ihres Mannes geschlungener rechter Arm schien in seiner zärtlichen Geste etwas von ihrem letzten Liebesspiel festgehalten zu haben. Er war blond, mit schmalen Lippen. Tcherdenek stellte sich vor, daß ein Sonnenstrahl um ihre Körper spielte. Er schüttelte den Kopf, um die Vision zu verjagen, und ging endlich weiter. Ohne jedes Geräusch, um den schönen Schlaf der Liebenden nur ja nicht zu stören.

Der gefährlichste Teil seiner Kletterei lag nun hinter ihm. Tcherdenek genehmigte sich einen neuen Halt. Jetzt lenkte nur noch kluge Taktik seine Schritte. Er erreichte ein Terrassendach, das seinem luftigen Ausflug ein Ende setzte. Nur die Überquerung der Höfe war noch zu fürchten. Einmal hatte er große Schwierigkeiten gehabt, seine Anwesenheit gegenüber einer mürrischen Portiersfrau zu rechtfertigen, und noch mehr, sich zu entfernen, ohne den Weg zur Straße zu nehmen. Seitdem hatte er es gelernt, die dunklen Ecken besser zu beobachten, bevor er seinen Weg fortsetzte. Seine Augen waren zum Glück trotz seines Alters immer noch gut.

Die Tür, die zur Treppe hinausführte, knarrte leicht. Er schlich sich zu den dunklen Stellen und tastete sich nach unten. Es herrschte völlige Stille. Am Morgen und am Abend war es übrigens immer so, als ob das Gebäude unbewohnt wäre. Er hatte es aber nie gewagt, sich davon zu überzeugen.

Am Beginn des ersten Hofes nahm er sich die Zeit, seine Kleidung zu säubern, sich nach allen Seiten umzusehen und zu lauschen. Er ging dann mit großen Schritten weiter und drückte sich an die Trennmauer zur nächsten Wohnung. Er traf es gut. Eine alte Dame und ein kleiner Junge gingen zwei Schritte vor ihm her, bevor sie in der Straße verschwanden.

Der Antiquar beruhigte sich eine oder zwei Minuten. Eine Katze rieb sich währenddessen an seinen Beinen. Tcherdenek setzte seinen Weg ohne Schwierigkeiten fort und gelangte sehr schnell zum letzten Hof. Er riskierte nun nichts mehr. Die Hintertür seines Ladens lag vor ihm, und das war seine gewohnte Art, den Laden zu betreten.

Sein Herz schlug wieder normal, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Die alte Wanduhr zeigte dreiviertel acht. Die Zeitung unter der Tür machte ihn neugierig. Er hob sie auf und sah, daß es sich um ein von der Stadtverwaltung kostenlos ausgegebenes Exemplar handelte. Während er den gewohnten Kaffee auf der Heizplatte des hinteren Ladenraumes warm machte, überflog er die Schlagzeilen. Mehrere Personen versuchten an diesem Morgen, den Laden zu betreten. Die Tür blieb fest verschlossen. Als Doc Shunt um vierzehn Uhr ankam, glaubte er, einen Toten zu begrüßen, so entstellt war das Gesicht des Antiquars.

»Es ist so, wie ich Ihnen sagte«, meinte Braveau. »Dieser Mensch scheint gegen das Gesetz zu verstoßen, und doch können wir ihn nicht fassen. Wir haben nur feststellen können, daß er jede Nacht in seiner Wohnung und zum Beginn der Geschäftszeit in seinem Laden war. Kein Kontrolleur hat ihn aber auf der Strecke überraschen können, die ihn von zu Hause nach seinem Laden führen mußte.« Braveau machte eine Pause, um die Reaktion seines Gesprächspartners zu beobachten, aber das Gesicht von Gilles Bourreau blieb unbewegt. »Wir haben ein paar interessante Informationen, entgegnete der Leiter des Katasteramtes. »Zum Beispiel, daß dieser Tcherdenek die Dienste eines Burschen benutzt, um seine Einkäufe zu erledigen. Er gibt ihm von Zeit zu Zeit Geld oder alten Kram als Entschädigung. Und dann gibt es noch einen gewissen Shunt. Dieser erledigt hin und wieder Geschäfte in seinem Namen: Einkäufe von alten Dingen, Ausbesserungen in seiner Wohnung und was sonst noch... Jedenfalls berechtigt uns nichts im Verhalten des Antiquars, hier einzugreifen. Gerade, als wenn er niemals fortginge!« »Sie haben also keine Ahnung von der Art und Weise, wie dieser Mensch unserer Überwachung entgehen kann?« staunte Gilles Bourreau. »Ja, so ist es. Ich glaube trotzdem, daß ich eine Erklärung habe.« »Nun gut, dann reden Sie schon, zum Teufel! Mit Steuerhinterziehern machen wir kurzen Prozeß.« »Die Straße de la Treille befindet sich in einem alten Viertel, wo sich jedes Haus an ein anderes lehnt und wo die Innenhöfe aufeinanderfolgen und selbst die Keller da und dort miteinander in Verbindung stehen. Man kann daher wetten, daß dieser Tcherdenek einen Weg ausfindig gemacht hat, durch den er die Straße vermeiden kann. Vergessen Sie nicht, daß sich seine Wohnung in einer Sackgasse rechtwinkelig zur betreffenden Straße befindet und im selben Häuserblock; anders ausgedrückt, in einer Vogelfluglinie, wobei die Entfernung zwischen den Gebäuden sehr kurz ist.« »Also in diesem Fall keine Lösung?« »Keine, fürchte ich. Und wenn es wahr ist, daß sonst jedermann die Fußgängermarke gekauft hat, wie es scheint, dann ist Tcherdenek eine Ausnahme.« »Hier ist der Wurm drin«, murmelte der Chef des Statistischen Amtes. »Nicht mehr lange!« mischte sich der Direktor der technischen Dienste ein. Er entfaltete auf dem Schreibtisch seines Kollegen einen Stadtplan. »Sehen Sie«, bemerkte er, indem er mit dem Zeigefinger auf das erwähnte Stadtviertel wies. »Die Erneuerungsarbeiten werden bald in Angriff genommen. Der Magistrat hat soeben ein Budget von einhundert Millionen Francs bewilligt, das dazu bestimmt ist, die Kosten für den Zwangsverkauf und das Abreißen der Gebäude zu decken, soweit sie nicht wegen ihres besonderen architektonischen Charakters erhalten bleiben sollen. Das Gebäude, in dem sich der Laden von Tcherdenek befindet, wird von dieser Verordnung nicht berührt, wohl aber sein Wohnquartier.« »Und keine Ausnahme mehr, mein lieber Braveau!« rief der Chef des Statistischen Amtes. »In diesem Fall steht es außer Zweifel, daß dieser Mensch... irgendwo wieder untergebracht wird?« unterbrach der Leiter des Katasteramtes. »Im Prinzip im Sektor von Herbet«, präzisierte der Direktor der technischen Dienste. »Ja! In diesem Fall sehe ich keine Möglichkeit mehr, wie dieser Mensch darum herumkommen sollte, seine Fußgängermarke zu bezahlen wie alle anderen Bürger auch.«

Es war sein erster Morgen.

Vom Fenster des Hauses in der Rue de la Parlette, wo ihm ein Apartment im achten Stock - mit Aufzug - zugeteilt worden war, betrachtete Tcherdenek die Straße und jenseits das Stadtzentrum mit seiner Kathedrale aus schwarzen Steinen, auf der Höhe der Butte. Er glaubte, das alte Lyzeum Blaise Pascal und die Kolonnaden des Hospitals zu erkennen, die Pyramide als Wächter der Rue Ballainvilliers, dann die Ecole des Beaux Arts vor der Rue Saint-Esprit. Die Rue de la Treille war zu dieser Stunde noch ruhig. Ein Lieferwagen brummte vor der Wäscherei. Sein eigener Laden erschien ihm plötzlich sehr, sehr alt an der zurückversetzten Stelle, wohin die Sonne nicht vor elf Uhr scheinen würde.

Doc Shunt war vielleicht vor der Tür, erstaunt, ihn schweigsam und unbeschäftigt zu sehen. Tcherdenek hatte ihm niemals das Geheimnis seiner akrobatischen Reisen anvertraut. Um ihn für seine Anliegen einzuspannen, hatte er immer seine körperliche Behinderung vorgeschützt, und das hatte genügt. Der Doc wurde es vielleicht eines Tages erraten. An diesem Morgen jedenfalls würde er die Tür nicht ohne Überraschung verschlossen vorfinden. Er würde nach einigen Minuten des Wartens wieder fortgehen, eingehüllt in den verwaschenen Regenmantel, ohne den er niemals das Haus verließ. Ein prächtiger Bursche, dieser Doc Shunt. Sie kannten sich nun schon fast dreißig Jahre.

Die alte Wanduhr hatte in einer Stille geschlagen, die Tcherdenek niemals wieder unterbrechen würde. Die Kaffeemaschine war kalt. Die Puppen aus Chiffon und Porzellan würden an diesem Morgen erstaunt sein, die kleinen zärtlichen Klapse nicht mehr zu bekommen, die ihnen den Staub einer Nacht nehmen sollten. Eine Träne glitt über seine faltige Wange.

Er öffnete halb die Balkontür des Wohnzimmers und ließ die Geräusche der Straße zu sich heraufsteigen und in sich eindringen. Es war ein nebliger Morgen, wie er ihn liebte, wie manche von denen, die er auf den Dächern des alten Viertels kennengelernt hatte, wenn er seinen Kreuzesweg zu seinem Laden ging, der zuwenig Kunden hatte, um ihn ernähren zu können.

»Etwas ist hinuntergefallen!« sagte der Mieter im fünften Stock zu seiner Frau, die sich mit dem Jüngsten beschäftigte, der noch zu jung war, um zur Schule zu gehen.

Unten gab es einen Auflauf, und die Gaffer hoben den Kopf, um zu entdecken, von wo der Körper herabgefallen sein mochte.

Das war der letzte Morgen von Tcherdenek.

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Volker Bartheld

Volker Bartheld schrieb:

Super! Besten Dank. Ich hatte mich schon einige Seiten durchgefressen, aber mein frongsösisch ist etwas eingerostet. Auch ist der Scan nicht der Beste, hat auch etwas viele Zwiebelfische.

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Rolf Bombach

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